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Echte Kerle

Eine Wohnküche, zwei Kammern mit Doppelstock­betten – dort leben Jörg Kramer und seine Kollegen, wenn sie auf Achse sind. Die Männer transportieren Amprion-Transformatoren. Mit dem Zug und dem Gefühl, einen der ungewöhnlichsten Jobs zu machen, die Amprion zu bieten hat.

Voller Körpereinsatz: Frank Bierwagen, Jörg Kramer und Olaf Häberle (von links) schieben den Waggon an seinen Platz. Dann ist nicht mehr Muskelkraft, sondern Feinmotorik gefragt – im Umgang mit Schrauben und Schlüsseln.

Feierabend. Jörg Kramer hat den verschmierten Arbeitsanzug abgelegt. Darunter trägt er Fleece-Pullover und Jeans. Er fischt eine Packung Bratkartoffeln aus dem Kühlschrank und schneidet eine Fleischwurst in Scheiben. Öl in die Pfanne – kurz darauf brutzelt das Abendessen auf dem Herd. Der Essensduft zieht durch die Küche. Ein Tisch, drei Stühle, nebenan in den beiden Seitenkammern zwei Doppelstockbetten – das ist das Reich von Jörg Kramer und seinen Kollegen Olaf Häberle und Frank Bierwagen. „Und so etwas wie unser zweites Zuhause“, sagt Kramer.

Dieses Zuhause hat allerdings weder Garten noch Hobbykeller. Es ist ein Eisenbahn-Waggon. Dort ­kochen und schlafen die drei Männer, verbringen Arbeitspausen und Abende, wenn sie auf Achse sind. Das dauert oft Wochen. Denn ihre Aufgabe ist es, Transformatoren zu neuen, oft weit entfernt ­liegenden Einsatzorten zu transportieren. Diese ­tonnenschweren Maschinen stehen meist in Umspannanlagen und sind für die Stromversorgung un­ver­zichtbar. „Bei Amprion beschaffen wir nicht nur neue Transformatoren, sondern tauschen ältere Trafos gegen Einheiten jüngeren Baujahres“, sagt ­Kramer. „Man kann das mit Autoreifen vergleichen, die mal vorn, mal hinten aufgezogen werden, damit sie gleichmäßig abnutzen.“

Unterwegs von Koblenz nach Duisburg

Etwa 15 Mal im Jahr gehen Kramer und seine Kollegen auf große Fahrt. An diesem Tag sind sie mit einem 240 Tonnen schweren Trafo unterwegs. Sie haben ihn in Koblenz abgeholt und bringen ihn in eine Umspannanlage in Duisburg. Jörg Kramer macht den Job seit fast 25 Jahren und ist so etwas wie die graue Eminenz des Trafo-Transports bei Amprion. „Wahrscheinlich habe ich den ungewöhnlichsten Posten im ganzen Unternehmen“, sagt der 56-Jährige. Er ist kräftig gebaut, hat dicke Oberarme und wache Augen. Früher schuftete der gelernte Schlosser als Bergmann unter Tage.

„So ein Leben muss man führen wollen“

Eisenbahnfans mit Hang zur Nostalgie werden beim Anblick ihrer Unterkunft feuchte Augen bekommen. Der Waggon, in dem die drei Männer zeitweise leben, stammt aus den 1960er Jahren. Das Herzstück des Zugs ist allerdings ein Schwerlastwaggon, der wegen seiner langen Hebearme als Schnabelwagen bezeichnet wird. Er wurde 1956 gebaut, wiegt leer 110 Tonnen und kann 240 Tonnen Last tragen.

Kaffeepause am Nachmittag: Olaf Häberle (links) und Frank Bierwagen verschnaufen in der Küche des Wohnwaggons. Ihr mobiles Zuhause haben sie nach eigenem Geschmack ­eingerichtet – Spitzenvorhänge inklusive. Nebenan befinden sich Schlafräume mit Doppel­stockbetten.

Bei diesem Gewicht sind nicht mehr als 40 Kilometer Höchstgeschwindigkeit drin. Daher muss der Zug oft auf Nebenstrecken ausweichen, um den Verkehr im Schienennetz nicht zu behindern. Es kann aber auch vorkommen, dass Jörg Kramer und seine Kollegen ein Wochenende lang auf einem Güterbahnhof warten. Vor einem Einsatz verabschieden sich die Männer deshalb von ihren Familien, ohne zu wissen, wann genau sie wiederkommen. „Meinen Geburtstag habe ich 2019 zum ersten Mal seit vier Jahren wieder zu Hause gefeiert“, sagt Kramer. Olaf Häberle nickt. „So ein Leben muss man führen wollen.“

An manchen Tagen vergeht die Zeit unendlich langsam, an anderen müssen die Männer eine aufregende Situation nach der anderen bewältigen. Denn ein Transformator ist breiter als ein normaler Eisenbahnzug. Ist die Kurve zu eng für den Zug? Passt der Trafo in den Tunnel? Stehen Signale zu nah am Gleis? An kritischen Stellen rollt der Zug nur im Schritttempo. Bei Dunkelheit müssen die Männer den Bahndamm mit einer Lampe ausleuchten. „Da hilft keine moderne Technik, sondern nur Erfahrung und Augenmaß“, sagt Jörg Kramer.

Rollen im Schritttempo: An kritischen Stellen geht es nur langsam voran. Dann vertrauen die Männer auf Erfahrung und Augenmaß.

„Da hilft keine moderne,
­Technik sondern nur ­
Erfahrung und Augenmaß.“
JÖRG KRAMER
arbeitet bei Amprion im Bereich
Gleisanlagen und
Transformatortransporte.
arbeitet bei Amprion im Bereich Gleisanlagen und Transformatortransporte.

Selbst ist der Mann, wenn die Heizung streikt

Meist sind die Männer während der Fahrt auf sich gestellt. So fiel vor einigen Jahren während einer Pause im Winter die Standheizung des Wohnwaggons aus. „Da habe ich stundenlang unter dem Wagen gelegen“, erinnert sich Kramer. Am frühen Morgen hatte er die Heizung endlich repariert.

Manchmal erhält das Trafo-Team von Amprion unerwartet Hilfe. So am Rangierbahnhof Köln-Kalk Nord, wo ihr Zug nach mehreren Wendemanövern verkehrt herum stand. Kramer schilderte das Problem einem Vorarbeiter der Deutschen Bahn, den er zufällig traf. Der alarmierte kurzentschlossen einen Rangier-Lokführer. Wenige Stunden später konnten sie vorschriftsmäßig weiterfahren.

Drei Männer wochenlang auf engstem Raum – geht das gut? Jörg Kramer überlegt. „Manchmal müssen wir uns bei einem Bier zusammensetzen und uns aussprechen.“ Den Zug verlassen sie nur selten. „Es gibt immer das Risiko, dass Einbrecher kommen“, sagt Frank Bierwagen. Auch an diesem Abend im Bahnhof ­Duisburg-Walsum bleiben die Männer nach dem Essen im Waggon sitzen, unterhalten sich, nebenbei läuft der Fernseher. Ein typischer Abend auf Achse. Immerhin: Sie werden nicht mehr lange in ihrem Waggon aus den 1960er Jahren wohnen. Da die Zahl der Transporte zunimmt und die Trafos schwerer werden, hat Amprion einen neuen Schwerlastwaggon und dazu auch einen „Wohnwaggon“ bestellt. Der Schwerlastwaggon kann Trafos mit einem Gewicht bis zu 500 Tonnen tragen und auch der Wohnwaggon wird deutlich mehr Komfort bieten.

Am nächsten Morgen beginnt der letzte Abschnitt des Trafo-Transports. Die Diesellok hupt, während der Motor röhrend auf Touren kommt. Langsam zieht die Lok den Zug vom Bahnhof durch das benachbarte Kohlekraftwerk in die Umspannanlage von Amprion. An einem Bahnübergang müssen Jörg Kramer, Olaf Häberle und Frank Bierwagen den Trafo per Hydraulik anheben, damit er nicht den Boden berührt. Auch eine Weichenlaterne schrauben sie vorübergehend ab, da sie zu nah am Gleis steht. Routinehandgriffe.

Der 240 Tonnen schwere Transformator muss nach dem Ab­laden millimetergenau stehen. Per Lot wird die genaue Posi­tion ­ermittelt. Auf quer zur Fahrt­richtung verlegten Transportschienen schiebt sich der Koloss dann langsam auf seinen endgültigen Platz.

Trafos auf Tour

Jede Trafolieferung wird sorgfältig vorbereitet. Um den regulären Bahnverkehr so wenig wie möglich zu stören, orientieren sich Amprions Logistikteams an den Fahrplänen und Sperrpausen der Deutschen Bahn. Einen Transport minutiös zu planen und alle erforderlichen Genehmigungen einzuholen dauert deshalb mindestens acht bis zwölf Monate.

Amprion verfügt über rund 100 Kilometer eigene Gleisanlagen und 60 direkte Gleis­anschlüsse zu Umspannanlagen. Hinzu ­kommen 70 Umladestellen. Trafos für Umspannanlagen, die keinen eigenen Gleisanschluss haben, werden hier vom Waggon auf einen Schwerlasttransporter umgeladen und legen die letzten Kilometer über die Straße zurück.

Der 240-Tonnen-Trafo ist am Ziel

In der Umspannanlage angekommen, lassen sie den 240 Tonnen schweren Trafo wie in Zeitlupe auf zwei niedrige Stahlwagen herab, die auf Transportschienen quer zum Gleis liegen. Kurz darauf steht der Trafo am richtigen Platz. Dort wird er in den folgenden Wochen mit Seitenwänden versehen und überdacht, bevor er ans Stromnetz angeschlossen wird.

Damit haben Jörg Kramer und seine Kollegen aber nichts mehr zu tun. Sie freuen sich auf die Heimfahrt – und auf ihr richtiges Zuhause.

Text  Heimo Fischer
Fotos  Jan P. Baldus