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Drahtseilakt im Regen

Große Störungen im Amprion-­Netz sind selten. Auch weil ­Monteure die Leitungen regelmäßig warten. Treten doch ­einmal Schäden auf, beginnen die Helfer mit der Reparatur – in schwindelerregender Höhe.

Ein Mittwochmorgen im Herbst, es regnet in Strömen. Dicker Nebel klebt an den Hügeln des Sauerlands. Der 55 Meter hohe Strommast ist aber ­deutlich zu sehen. An dessen Fuß halten drei Dienst­fahrzeuge von Amprion. Hans Brinkers, Klaus Rothlübbers, Jonas-Daniel Glane und Frank Hölscher steigen aus, schauen sich um. „Heute ist ein guter Tag zum Baden“, sagt Hölscher. Die Kollegen schmunzeln.

Die vier Männer sind Freileitungsmonteure und gewohnt, bei Wind und Wetter draußen zu arbeiten. Ihr Auftrag an diesem Tag: Sie sollen einen Seilschaden in der Nähe des Strommasts reparieren. Jede Stromleitung besteht aus mehreren Seilen. Eine der Adern eines Seils ist gebrochen. Sie steht ab und muss mit einer sogenannten Schutzspirale repariert werden.

Klettern in großer Höhe macht Jonas-­­Daniel Glane nichts aus. Während er den Mast besteigt, bereitet sein Kollege am Boden den Leitungsfahrwagen für die Reparaturarbeiten vor.

Wir müssen immer vorbereitet sein

Das Leitungsnetz zu warten, hat bei Amprion höchste Priorität. Denn mit der Zuverlässigkeit des Netzbetriebs steht und fällt die Versorgung von vielen Millionen Menschen. „Unser Netz ist robust, es gibt insgesamt nur sehr wenige Störungen, aber trotzdem müssen wir immer vorbereitet sein“, sagt Hans Brinkers, der den Einsatz leitet. Der gebürtige Emsländer kennt sich aus. Seit 32 Jahren ist er als Freileitungsmonteur tätig. An diesem Herbsttag bleiben er und Kollege Rothlübbers allerdings am Boden. Jonas-Daniel Glane und Frank Hölscher werden den Mast besteigen. So haben sie es verabredet.

Die Männer ziehen Regenkleidung, Helme und Handschuhe an, dann machen sie sich an den Aufbau. Bringen den Transporter mit Anhänger, in dem eine Seilwinde mit Motor eingebaut ist, in die richtige Position. Ziehen rund 100 Meter Transportseil heraus und legen es neben weiterem Material vor dem Mast ab. Den Großteil des Materials werden sie später mit der Seilwinde nach oben ziehen. Dazu gehört auch der 200 Kilogramm schwere Leitungsfahrwagen, den sie liebevoll „dat Stühlchen“ nennen. Mit dieser Spezialkonstruktion kann eine Person die Leitungen hoch über dem Boden abfahren.

„Bei aller Routine dürfen wir uns in diesem Job keine Nachlässigkeit erlauben.“

HANS BRINKERS Freileitungsmonteur und Einsatzleiter

Nichts für schwache Nerven – Jonas-Daniel Glane klettert vom Mast über die Isola­toren in Richtung Seile. In diesem Moment ist höchste Konzentration gefordert.

Fließt noch Strom durch die Leitung?

Jonas-Daniel Glane und Frank Hölscher legen ihre Klettergurte an. Ein Gurt wiegt mehr als zehn Kilo. Gesichert wie an einem Klettersteig bewegen sie sich 55 Meter hoch auf den Mast. Im Gepäck haben sie auch einen Fernspannungsprüfer. Das stabförmige Gerät kann ihnen anzeigen, ob noch Strom durch die Leitung fließt. Das sollte allerdings nicht der Fall sein, denn Hans Brinkers hat für diesen Tag in der Netzführung von Amprion die sogenannte Freischaltung der Leitung beantragt – und sie sich frühmorgens telefonisch bestätigen lassen. „Die Fernprüfer brauchen wir trotzdem. Sie sind unsere Lebensversicherung“, sagt Glane. Er macht den Job seit sieben Jahren. Nach mehreren Sicherheitsprüfungen ziehen seine Kollegen von unten das übrige Material hoch. Alle arbeiten konzentriert. „Bei aller Routine dürfen wir uns in diesem Job keine Nachlässigkeit erlauben“, sagt Brinkers.

Kollege Glane muss nun vom Mast zu den Seilen gelangen. Er klettert vorsichtig auf die Isolatorenkette. Unter ihm ein 50 Meter tiefer Abgrund. Noch immer regnet es, die Isolatoren aus Porzellan sind rutschig. Von unten sieht er aus wie ein Seiltänzer. Langsam arbeitet er sich voran. Hier zu stolpern, wäre trotz aller Sicherheitsvorkehrungen gefährlich. Aber er schafft es ohne Probleme. Zwischen den Seilen montiert er eine Halterung für das Stühlchen. Jetzt muss noch der Wagen selbst nach oben gezogen werden – im Team, per Seilwinde, auf Handzeichen.

Was für den Laien spektakulär aussieht, ist für Freileitungsmonteure Alltag. Mit ­einer Seilwinde ziehen sie den Leitungsfahrwagen nach oben. Hans Brinkers (links) hat alles im Blick. Der Einsatzleiter kommt auf mehr als 30 Dienstjahre als Freileitungsmonteur.

„Unser Job: wandern, klettern und fliegen“

Nachdem Glane das Stühlchen eingehängt hat, klettert er hinein und startet den Motor. Rund 300 Meter sind es vom Mast bis zur Schadstelle. Entdeckt wurde sie im Sommer, bei einem Kontrollflug mit dem Hubschrauber. Einmal im Jahr fliegt Amprion das komplette Netz ab und untersucht die Leitungen auf Schäden. Außerdem werden alle Masten und Leitungen einmal jährlich abgegangen. Alle fünf Jahre wird jeder einzelne Mast bestiegen und genau inspiziert. „Wir wandern, klettern und fliegen – all das, was andere in ihrer Freizeit machen“, sagt Glane. In ihrem Bezirk stehen fast 4.500 Masten – viel Arbeit für die Freileitungsmonteure. Allein Brinkers fährt rund 35.000 Kilometer im Jahr. Alle fünf Wochen hat er eine Woche lang Bereitschaftsdienst. Wenn nachts eine größere Störung auftritt, muss er sofort hin. „Aber das kommt selten vor“, sagt er.

„Wir wandern, klettern und fliegen – all das, was andere in ihrer Freizeit machen.“

JONAS-DANIEL GLANE Freileitungsmonteur

Hier muss jeder Handgriff sitzen. Jonas-Daniel Glane montiert den Leitungsfahr­wagen, den er „dat Stühlchen“ nennt. Mit ihm gelangt er zur 300 Meter entfernten Schadstelle.

Jonas-Daniel Glane beginnt mit der Reparatur des Seilschadens. Während er das Seil an der defekten Stelle mit Reparaturspiralen aus Aluminium umwickelt, haben die anderen Männer Pause. Kurz bevor Glane fertig ist, entdeckt er einen zweiten Seilschaden einige Meter weiter. Ihn nimmt er sich anschließend vor. „Den zweiten Aderbruch hätte man vom Helikopter aus nicht sehen können“, sagt er später. „Dafür war er zu klein und zu nah am Abstandshalter zwischen den Seilen.“ Worauf die beiden Seilschäden zurückzuführen sind? „Gute Frage“, sagt Hans Brinkers. „Das können wir nicht genau sagen.“ Seilschäden können durch Blitzschläge oder defekte Bündelabstandhalter entstehen – manchmal auch dadurch, dass Jäger mit ihren Kugeln die Leitungen treffen.

Reparatur beendet: „frei von Arbeit“

Derweil ist Kollege Glane mit dem Stühlchen wieder auf dem Weg zurück zum Mast. Der Abbau kann beginnen – immer noch bei Regen. Am Nachmittag ist alles wieder verstaut, die Männer machen sich auf den Heimweg. Nur Hans Brinkers hat noch etwas zu tun. Er meldet den Kollegen der Netzführung telefonisch, dass die Leitung „frei von Arbeit“ ist und wieder zugeschaltet werden kann. Kurze Zeit später fließt wieder Strom durch das reparierte Seil.

Text  Christina Schneider
Fotos  Jan P. Baldus