Dicht an dicht

Amprion baut das Stromnetz aus, damit erneuerbare Energien bei den Menschen ankommen. Doch es wird eng für neue Leitungen und Anlagen. Geeignete Flächen sind ein knappes Gut. Stadtentwickler Tim Tröger und Kommunikationsexpertin Katrin Schirrmacher sind sich einig: Umso wichtiger ist es, sich mit den Menschen vor Ort darüber zu verständigen.

Tim Tröger
ist studierter Architekt und seit 1997 Mitbetreiber des Planungsbüros StadtLabor mit Sitz in Leipzig. Städtebauliche und verkehrliche Konzepte gehören zu den Schwerpunkten seiner Tätigkeit.

Herr Tröger, wie steht es um den Flächenverbrauch in Deutschland?

Tim TrögerIn den letzten 60 Jahren hat sich die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland mehr als verdoppelt. Derzeit beträgt der tägliche Flächenverbrauch durchschnittlich 56 Hektar pro Tag. Das entspricht etwa der Größe von 78 Fußballfeldern und umfasst neues Bauland sowie Standorte oder Trassen für Infrastrukturen wie Straßen und Stromleitungen. Mit Blick auf die kommenden Generationen kann das so nicht weitergehen, denn Landwirtschaftsflächen und fruchtbare Böden sind begrenzt. Die Bundesregierung hat sich deshalb im Rahmen der Deutschen Nachhaltigkeits­stra­tegie zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2030 die Neuinanspruchnahme von Flächen für Siedlungen und Verkehr auf unter 30 Hektar pro Tag zu verringern.

Frau Schirrmacher, was bedeutet diese Entwicklung für Amprion?

Katrin Schirrmacher Sie stellt uns vor große Herausforderungen. Als Netzbetreiber müssen wir für den Bau einer geplanten Leitung Wege finden, die rechtlich sicher sind und die Interessen aller Betroffenen so gut wie möglich berücksichtigen. Gesetze schreiben vor, dass neue Leitungen nur in Ausnahmefällen über bebautes Gebiet oder durch Naturschutzgebiete führen dürfen. Außerdem gilt es technische Normen zu beachten, um die zukünftige Leitung sicher betreiben zu können. Wenn Flächen knapp werden, entstehen außerdem Interessens­konflikte mit Kommunen und Städten. Wo neue Siedlungen oder Gewerbeflächen entstehen sollen, können wir keine Leitungen planen. Auch Landwirtinnen und Landwirte wollen Ackerflächen erhalten, denn sehr oft geht die Umwandlung von Flächen zu Lasten der Landwirtschaft. Am Ende bleiben oft nur sehr wenige Möglichkeiten übrig, um die Leitungen zu bauen, die für die Energiewende dringend benötigt werden.

Tim Tröger
ist studierter Architekt und seit 1997 Mitbetreiber des Planungsbüros StadtLabor mit Sitz in Leipzig. Städtebauliche und verkehrliche Konzepte gehören zu den Schwerpunkten seiner Tätigkeit.

Wie lassen sich Infrastrukturen unter diesen Voraussetzungen planen?

TrögerWo es geht, sollte man bestehende Infrastrukturachsen verwenden, um nicht immer wieder neue Eingriffe zu erzeugen. Schnellbahnstrecken oder auch Stromtrassen verlaufen nicht umsonst häufig neben Autobahnen. Aber auch der Ansatz, Infrastruktur in bestehenden Trassen zu erneuern oder zu verstärken, bringt oft Probleme mit sich. Gerade in dicht besiedelten Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen sind Siedlungen, Gewerbegebiete, Straßen, Schienen und Energienetze über Jahrzehnte hinweg gewachsen und dichter aneinandergerückt. Ein klassischer Konflikt: Jeder möchte guten Zugang zu Internet, öffentlichen Verkehrsmitteln, Straßen, Strom. Die dafür nötige Infrastruktur soll aber nicht vor der eigenen Haustür stehen. Anrainerinnen und Anrainer befürchten, dass sich ihr Wohnumfeld durch die Nähe zur Infrastruktur verschlechtert, der Wert ihrer Grundstücke sinkt oder ihre Gesundheit durch Lautstärke oder Emissionen gefährdet werden könnte.

SchirrmacherDieser Konflikt begegnet uns in vielen Projekten. Und er ist – wie Sie sagen – oft historisch gewachsen, weil Städte und Gemeinden in den vergangenen 60 Jahren neue Wohn- und Gewerbegebiete ausgewiesen haben. In Moers etwa ist über die letzten Jahrzehnte das Wohngebiet Utfort immer näher an die dortige Umspannanlage sowie die zuführenden Stromleitungen gerückt. Bereits diese städtebauliche Entwicklung wurde unter anderem von Vertreterinnen und Vertretern der lokalen Politik scharf kritisiert. Nun müssen wir im Zuge eines Projekts in der sogenannten Rheinschiene – eine unserer wichtigsten Nord-Süd-Leitungen – die Umspannanlage umbauen und die ein- und ausgehenden Leitungen verstärken. Das hat zu massiven Widerständen in der Bevölkerung geführt. Auch aufgrund der räumlichen Enge, die durch die gewachsene Bebauung entstanden ist, gibt es vor Ort aber keine Ausweichmöglichkeit für unsere Strom-Infrastruktur.

Katrin Schirrmacher
leitet die Projektkommunikation bei Amprion. Gemeinsam mit ihrem Team informiert sie Bürgerinnen und Bürger über die Netzausbauvorhaben des Unternehmens und stellt sich den Fragen von Verbänden, Politik und Presse.

Wie gelingt es, die unterschiedlichen Interessen in Einklang zu bringen?

TrögerTransparenz und Dialog sind wichtig, daraus können Lösungsansätze entstehen. Nichts ist schlimmer, als wenn die Betroffenen das Gefühl haben, dass an ihnen vorbei entschieden wurde. Alle Beteiligten sollten ehrlich sein, auf das Gegenüber zugehen, Interessen offenlegen, Gegenmeinungen auffangen – auch über gesetzlich vorgeschriebene Abläufe hinaus. Einen Bebauungsplan zu verstehen, ist eine Kunst für sich. Laien fühlen sich da schnell außen vor. Ich empfehle immer, mit klaren Bildern, gut lesbaren Plänen und Modellen auf die Öffentlichkeit zuzugehen. Und immer wieder zu vermitteln, warum unsere Gesellschaft genau diese Infrastruktur braucht.

SchirrmacherWir bei Amprion wissen, dass es um die Heimat der Menschen geht. Sie sind verbunden mit der Landschaft und der Kultur. Und dann kommen wir und wollen ihre Heimat verändern. Das geht nur, wenn die Menschen vor Ort wissen, warum wir das wollen. Transparenz und offener Austausch sind die Basis der Projektkommunikation. Wir respektieren jede Perspektive auf unsere Projekte und unser Tun. Unser erklärtes Ziel ist es, die Rahmenbedingungen eines jeden neuen Bauprojekts möglichst früh zu verdeutlichen. In unserer frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung informieren wir, bevor das offizielle Genehmigungsverfahren beginnt. Wir erklären, was wir vorhaben – und warum wir so planen, wie wir planen. Das schafft auch Klarheit darüber, wo und wie sich Bürgerinnen und Bürger in den nachfolgenden Genehmigungsverfahren einbringen können.

TrögerDa kommen sicherlich mehrere tausend Kilometer Dienstreisen pro Jahr zusammen...

SchirrmacherKeine Frage, vor Corona haben wir zum Teil mehr als 600 Dialogveranstaltungen im Jahr organisiert. Grundsätzlich ist es wichtig, dass wir persönlich in den jeweiligen Projektregionen unterwegs sind. Nur so können wir Vertrauen schaffen. Im vergangenen Jahr war es aufgrund der Corona-Pandemie nahezu unmöglich, den Menschen persönlich zu begegnen. Das hat uns vor völlig neue Herausforderungen gestellt. Aber auch unter den erschwerten Rahmenbedingungen haben wir das Bestmögliche getan, um die Anliegen der Anwohnerinnen und Anwohner aufzunehmen und zu verstehen. Hauptsächlich sind wir über Online-Angebote sowie telefonisch miteinander im Dialog geblieben. Wo es geht, prüfen wir, ob wir ihre Hinweise in unsere Planungen einfließen lassen können. Manchmal gibt es Wege, beispielsweise eine bestehende Trasse in ihrem Verlauf zu optimieren oder einen anderen Masttyp einzusetzen. Insbesondere dort, wo der Raum beengt ist, gibt es aber oft keine Option. Auch das müssen wir den Anwohnerinnen und Anwohnern dann ehrlich kommunizieren, so schwer es zuweilen auch fällt.

TextAlexandra Brandt
FotosMario Kirchner, Hartmut Nägele
Illustrationenshutterstock